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ANKE HELFRICH In vielen Situationen des Lebens sind weiblicher Charme, ein strahlendes Lächeln und ein blenden- des Aussehen hilfreich. Um ein Jazz-Stipendium in New York zu erhalten, bedarf es freilich anderer Qualitäten. Auch um die „European Jazz Competition“ zu gewinnen, den „Hennessy Jazz Search“ oder den Jazzpreis der Stadt Worms, sind auf jeden Fall künstlerisches Talent und solistische Origi- nalität nötig. Und natürlich Durchsetzungsvermögen – gerade in der Männer- und Raubtierdomäne Jazz. Vielleicht hat die Pianistin Anke Helfrich ihren Mut und ihren starken Willen schon in ihrer Kindheit in Namibia entwickelt, wo Begegnungen mit echten Pavianen, Schlangen und Löwen fast zum Alltag gehörten. Jedenfalls fand sie später auch den Schneid, einfach zum Jazzstudium nach Hilversum zu gehen und dann weiter nach New York, in die Hauptstadt des Jazz, wo Kenny Barron und Larry Goldings zu ihren Lehrern gehörten. Der einst in New York aufgewachsene Thelonious Monk ist bekanntlich zu Anke Helfrichs Hausheiligem geworden. Auch auf ihrer dritten eigenen CD – ihrer ersten für ENJA – darf eine Hommage an den schräg-genialen Einzelgänger nicht fehlen, der eine ihrer frühesten Jazz-Entdeckungen war. Während ihres Studiums in Holland wurde er für sie zu einer Art Protestfi gur gegen all die Technik und das Schulmäßige. Dass ihr die dissonanten Akzente und verspielten Schmuckläufe und motivischen Kürzel Monks in Fleisch und Blut übergegangen sind, hört man schon in den ersten Sekunden von „Hackensack“. Aber dann wandelt sich das Stück zum Sprungbrett ins Eigene und entlockt der Pianistin ganz persönliche kleine Beiträge zum Thema „Humor in der Musik“. Am Ende wird Monks Melodie mehr zitiert als wiederholt. Und der Hörer hat bereits erfahren, dass man Anke Helfrich nicht so leicht ausrechnen kann. Auch Kurt Weill besitzt bei ihr schon eine kleine Vergangenheit. In Dessau, Weills Geburtsstadt, hatte man Ankes Version von „My Ship“ gehört und lud sie daraufhin zum Weill-Festival 2008 ein. Den „September Song“, den Weill der Ur-New Yorker Figur Peter Stuyvesant in den Mund legte, behielt sie auch nach dem Festival im Programm und präsentiert ihn hier neu harmonisiert, mit ents- chlossenem Rumba-Feeling, dezentem Funk-Touch und einigen sentimentalen Harmoniumklängen im Intro, die ein wenig an Weills Leierkasten-Romantik erinnern. Den anderen Weill-Song, „Speak Low“, ebenfalls aus Weills amerikanischer Zeit, hat sie dagegen eher spontan bei der Studiosession wieder hervorgekramt und spielt ihn mit souveräner Unbekümmertheit und beherzten Figuren in der linken Hand. Bahnt sich da eine echte Seelenfreundschaft an zwischen Anke und Kurt, einem Paar mit einer gemeinsamen Schwäche für amerikanische Musik? Die „pièce de résistance“ des Albums ist das Titelstück „Stormproof“, eine Art Kurz-Suite am Stück mit mehreren Themen, Tempowechseln, Brüchen, Umschwüngen und Episoden, mit kollektiv improvisierten Passagen und kleinen Klangexkursen mithilfe von Fender Rhodes, off enen Klaviersaiten, Melodica und Glockenspiel. „Ich habe dabei an die Stürme des Lebens gedacht“, sagt die Pianistin. „da hat man ja doch in einem gewissen Alter schon einige erlebt.“ Auf jeden Fall hat „man“ off enbar gelernt, worauf es musikalisch ankommt: Den Dingen wird Raum gelassen, sich spontan zu entwickeln, und alle Beteiligten zeigen, wie gut sie aufeinander hören und reagieren können – nicht zuletzt „special guest“ Nils Wogram, einer der komplettesten Posaunisten unserer Zeit. „Nils war mit seinem kreativen und orginellen Spiel eine solche Bereicherung», schwärmt die Bandleaderin, «besonders auch in den freien Teilen.» Dass die kräftige Sprache amerikanischer Jazzpianisten Anke Helfrichs Spiel gefärbt hat, ist kein Geheimnis. „Es war immer zuerst der Groove, der mich ansprach“, bestätigt sie. „Bei Pianisten wie zum Beispiel Les McCann, Horace Silver oder Herbie Hancock schätze ich besonders auch ihre Art der Phrasierung.“ Eine dieser Inspirationen verrät schon der Titel des Stücks „Swiss Movement“: So hieß bekanntlich das Kult gewordene Montreux-Album von Les McCann und Eddie Harris, Vintage 1969, Lebensfreude und Funkiness pur. „Das war eine meiner ersten Platten, etwas, das mich überhaupt erst zum Jazz gebracht hat. Damals habe ich mir dieses Fender Rhodes gekauft, mein erstes eigenes Instrument, finanziert durch Zeitungen-Austragen.“ Dass Fender Rhodes und Wah-Wah-Pedal noch heute Spaß machen, hört man Ankes fröhlich-grooviger Hommage deutlich an. Anke Helfrichs beherztes Klavierspiel ist immer eine Gratwanderung auf sehr hohem Niveau. Auf der einen Seite des schmalen Wegs lockt die Neo-Bop-Tradition des afroamerikanischen Jazzpianos, die sie studiert und bewundernd aufgesogen hat. Auf der anderen Seite steht die Forderung nach Originalität und Neuerfi ndung, die sie an sich selbst stellt und mit Autorität einlöst. Ihr Solo im zupackenden „In Good Times As In Bad“ ist ein gutes Beispiel: So erfi ndungsreich und frisch es sich entwickelt, schickt es doch immer wieder einen Gruß zurück in die Vergangenheit. Zuweilen schrumpft das traditionell Einschlägige dann zu kleinen Inseln im Fluss: in den Details, in En-Passant-Läufen, bluesigen Trillern, vorbeischwirrenden Zitaten und einschlägigen Blockakkorden. In Ankes ruhigen Stücken hört man auch eine nachdenkliche, zur Trauer fähige Seite der tempe- ramentvollen Pianistin. „Sehnsucht“ (mit Henning Sieverts’ bewundernswertem Cello) scheint ein- gangs mehr mit romantischer Klassik als mit schwarzem Jazz verwandt. „Das Stück ist genau aus diesem Gefühl der Sehnsucht hervorgegangen“, erläutert Anke. „Es gibt kein englisches Wort, das es genau trifft. Sehnsucht ist stärker als ‚longing’ – und auch vielschichtiger.“ Der anspruchsvolle Walzer „Circles“ bewegt sich mit raffi nierter Natürlichkeit (und der inspirierten Mithilfe von Nils Wogram) durch wechselnde Ausdruckswelten: ein kleines Jazzwunder. Und dann ist da noch „Little Giant“, dieser kurze, diskrete musikalische Nachruf auf den im Sommer 2008 verstorbenen Saxofonisten Johnny Griffin. „Er war so witzig und warmherzig, voller Esprit und voller Geschichten“, erinnert sich Anke Helfrich an ihre gemeinsamen Auftritte im Jahr 2000. Mit „Little Giant“ schließt sich ein Kreis: Immerhin war Griffi n einst einer der profi liertesten Sidemen von Thelonious Monk.
Wie wesentlich die richtigen Sidemen für die Individualität einer Musik sind, hört man auch auf
diesem Album. Dejan Terzic, seit 2002 fester Bestandteil von Ankes Trio, wirkt hier als unermüdlicher Quell kreativer Inspirationen – nie berechenbar und auch in seinen Sounds immer überraschend
und neue Türen öff nend. Henning Sieverts ist nicht nur ein absolut verlässlicher (und gleichzeitig
fordernder) Bassist, sondern auch ein großer Melodiker und nicht ohne Humor in seinem Spiel. Terzic
und Sieverts, die einander seit vielen Jahren kennen, gelingt es, Anke Helfrichs Spiel in eine ebenso
unverwechselbare Trio-Sprache zu übersetzen. Symptomatisch für dieses fast osmotische Verständ-
nis aller vier Spieler ist das Stück „After The Rain“, eine kollektiv improvisierte freie Miniatur, mehr
Klangbild als Jazzstück, aber scheinbar bis ins kleinste Detail gemeinsam „ausgehört“. Das Ganze ist
präsent im Kleinsten: vielleicht das Geheimnis jeder echten Band. |